Als aktives Mitglied sozialer Netzwerke und ausgebildeter Übersetzer drängte sich mir irgendwann die Frage auf, wen Facebook, LinkedIn [&] Co. eigentlich mit der Übersetzung ihrer Websites beauftragen. Auf der Suche nach der Antwort stieß ich unweigerlich auf den neudeutschen Begriff „Crowdsourcing“. Nachdem die Nachteile maschineller Übersetzungen wohl doch überwiegten, setzen die Internetfirmen heute[nbsp]wieder auf altbewährte Handarbeit – ohne dafür auch nur einen Cent auszugeben. Sie bitten einfach ihre Mitglieder, die Inhalte ihrer Seiten zu übersetzen und die Übersetzungen anschließend zu bewerten und gegebenenfalls zu korrigieren. Die Anerkennung und Platzierung in Bestenlisten scheint für die Benutzer Motivation genug zu sein, ihre Dienste kostenlos zur Verfügung zu stellen. Facebook ist auf diese Weise mittlerweile in 96 Sprachen verfügbar. Über 10.000 deutsche Mitglieder übersetzen heute ehrenamtlich für das soziale Netzwerk, viele weitere Mitglieder lesen Korrektur und bewerten die Übersetzungen. Wie in einem professionellen Übersetzungsunternehmen werden die „Angestellten“ dazu aufgefordert, sich an einen Styleguide sowie die vorhandenen Glossare[nbsp] zu halten.
Was bei Facebook und auch bei Twitter sehr erfolgreich läuft, führte bei LinkedIn zu einer mittelschweren Katastrophe. Das Internetportal schrieb gezielt die Mitglieder an, die als professionelle Übersetzer arbeiten, und forderte sie dazu auf, an einer Gemeinschaftsübersetzung mitzuarbeiten. Auf die Frage, was sie dafür verlangen, konnten sie[nbsp]auf die Schaltfläche „Nothing, it’s for fun“ klicken. Der Ärger der freiberuflichen Übersetzer, die ihren Lebensunterhalt mit Übersetzungen verdienen, war groß – und gerechtfertigt. Warum sollte man für ein gewinnorientiertes Unternehmen gemeinnützig arbeiten?
„Crowdsourcing“ für gemeinnützige Organisationen, die beispielsweise Menschen in Entwicklungsländern bestimmte Informationen (z. B. im medizinischen Bereich) zugänglich machen wollen, ist davon klar abzugrenzen.
Doch neben der Frage, ob man professionellen Übersetzern durch sein „Hobby-Übersetzen“ die Arbeit wegnimmt, ist außerdem zu bedenken, dass die Qualitätssicherung zu wünschen übrig lässt, da diese entweder gar nicht oder ebenfalls von Laien durchgeführt wird. Hier gibt es unterschiedliche Ansätze. Facebook erzielt beispielsweise durch die hohe Anzahl der Benutzer, die über die Kommentarfunktion ihre Bewertungen abgeben, akzeptable Ergebnisse, während andere Unternehmen ihre Crowdsourcing-Übersetzungen von professionellen Übersetzern Korrektur lesen lassen. Und zu guter Letzt gibt es natürlich auch die schwarzen Schafe, denen die sprachliche Qualität anscheinend nicht sehr am Herzen liegt. Ebbt diese Motivation der Hobby-Übersetzer nicht irgendwann ab, hat dieses Modell in Kombination mit professionellem Projektmanagement und ausreichender Qualitätssicherung durchaus Potential. Vielleicht wird den Benutzern jedoch auch irgendwann bewusst, dass sie kostenlos eine Dienstleistung erbringen, mit der man seinen Lebensunterhalt verdienen kann.