In der Übersetzerbranche geben viele Agenturen an, dass ihre Übersetzungen von Muttersprachlern angefertigt werden. Dies gilt gemeinhin als Qualitätsmerkmal: Wer eine Sprache bereits als kleines Kind gelernt hat, kennt ihre Besonderheiten und kann somit optimale Texte anfertigen. Der Muttersprachler hat nie im langwierigen Studium Grammatikregeln und typische Formulierungen gelernt, sondern wendet sie ganz selbstverständlich an. Aber macht ihn das automatisch zu einem guten Übersetzer?
Zunächst einmal ist zu klären, was genau ein Muttersprachler überhaupt ist. Der Duden bezeichnet ihn als Person, die „eine Sprache als Muttersprache beherrscht“. Bei der Muttersprache handelt es sich um eine „Sprache, die ein Mensch als Kind (von den Eltern) erlernt [und primär im Sprachgebrauch] hat“. Aus der Definition ergeben sich bereits die wichtigsten Punkte, warum ein Muttersprachler nicht unbedingt ein guter Übersetzer sein muss.
Dadurch, dass die Sprache sehr früh gelernt wird, werden selbstverständlich keine Fachkenntnisse vermittelt. Kinder lernen Worte und Strukturen, aber seine spezifischen Kenntnisse muss sich auch der muttersprachliche Übersetzer später erarbeiten. Eine Sprache gut zu sprechen ist zudem nicht damit gleichzusetzen, sie gut zu schreiben. Hervorragende Kenntnisse in Stil und Zeichensetzung bringt nicht jeder mit, der eine Sprache als Muttersprache gelernt hat. Außerdem gehören zu einem Übersetzer immer mindestens zwei Sprachen: Wer nur seine eigene Sprache beherrscht, kann logischerweise nicht übersetzen.
Einen wichtigen Punkt setzt der Duden in eckige Klammern: den primären Sprachgebrauch. Wer beispielsweise die ersten acht Jahre seines Lebens Spanisch gelernt hat und dann nach Großbritannien auswandert, nutzt seine Muttersprache möglicherweise nicht mehr täglich. Mit der fehlenden Übung sinkt die Sprachkompetenz, aktuelle Begriffe sind unter Umständen nicht bekannt. Aus diesem Grund setzt Leginda auf das Ziellandprinzip: Der Übersetzer, der den Text bearbeitet, wohnt im Sprachraum des Zieltextes, sodass er ständig mit der Sprache zu tun hat und somit einen stets aktuellen Stand erhält.
Fazit: Ein Muttersprachler, der im Zielland wohnt und hervorragende Fach- und Sprachkenntnisse mitbringt, ist vermutlich der bestmögliche Übersetzer. Aber nur Muttersprachler zu sein ist keine ausreichende Qualifikation für professionelles Arbeiten.