Wer in ein anderes Land auswandert, nimmt seine Sprache und Kultur dorthin mit. Die Herkunft und Herkunftssprache haben dabei sowohl Einfluss darauf, wie wir eine neue Sprache lernen – aber Sprachkontakt kann auch zur Veränderung der „Ursprungssprache“ in dieser Region führen. Historisch gibt es auch zahlreiche Beispiele, in denen die Ursprungssprache verdrängt wurde und selbst nur noch als Substratsprache Einflüsse auf die überlagernde Sprache ausübt. Doch welche Auswirkungen haben Migration und Sprache aufeinander?
Sprachkontakt in der Vergangenheit
Dass Gebiete mit unterschiedlichen Sprachen aneinander grenzen, ist normal. Häufig kommt es dabei zu einer Situation der Mehrsprachigkeit, wie beispielsweise in der Schweiz. Grund dafür ist oft Migration. Schon die Völkerwanderung der Spätantike brachte neue Bewohner und ihre Sprachen nach Mittel- und Südeuropa. Nachdem zunächst durch die Eroberung der Römer Latein zur herrschenden Sprache wurde, führte die Migration ab dem vierten Jahrhundert zu einer teils starken sprachlichen Differenzierung.
Das Latein Italiens, Frankreichs, Spaniens und weiterer Teile Europas entwickelte sich von nun an unterschiedlich. In anderen Gebieten spricht man heute keine romanischen Sprachen, sondern germanische – wie in Deutschland, England oder Dänemark. Und auch hier spricht man nicht überall gleich.
Minderheitensprachen in Grenzregionen
In Südschleswig (Schleswig-Holstein), im Grenzgebiet zu Dänemark, leben etwa 50.000 Deutsche, die zur dänischen Minderheit gehören. Hier finden regelmäßig Veranstaltungen auf Dänisch statt, auch private Schulen, deren Unterrichtssprache Dänisch ist, gibt es in der Region.
Auch im zu Frankreich gehörenden Elsass gibt es zahlreiche alemannische Dialekte, die zum „Elsässisch“ zusammengefasst werden. Hier wachsen aber kaum noch Kinder mit der alten Sprache auf, das Französische beherrscht das öffentliche Leben. Tatsächlich ist und war die Politik immer schon wichtig für Mehrsprachigkeit: In der Schweiz bildete sich ein deutschsprachiger Teil heraus, weil viele Germanen einwanderten, die sich nicht angepasst haben.
Migration und Sprache: (Sprachliche) Anpassung oder nicht?
Das Statistische Bundesamt veröffentlichte für 2018, dass in 63 % der Haushalte, in denen mindestens eine Person einen Migrationshintergrund hat, überwiegend deutsch gesprochen wird. Abhängig sei die Verkehrssprache vor allem vom Zugehörigkeitsgefühl zur Heimat der Familie, sagt der Soziologe Hans-Joachim Roth in der Süddeutschen Zeitung. Die Herkunftssprache wird auch in späteren Generationen meist nicht aufgegeben, aber die Sprache des Wohnlandes immer mehr zum Alltag.
Je mehr man sich in der neuen Heimat integriert, desto stärker nehmen auch die Gelegenheiten ab, die Muttersprache zu sprechen, sofern es keine starke Community gibt oder man in einer Grenzregion lebt. Die Sprache, die Kinder in der Schule, aber auch Berufstätige bei der Arbeit sprechen, prägt sie über die Jahre. Trotzdem bringen sie auch ihre Muttersprache mit. Gerade in der Jugendsprache lässt sich Migration nachvollziehen:
Jugendsprache ist besonders durchlässig
In der Wahl zum Jugendwort des Jahres 2018 gehörte der Ausdruck „Ich küss dein Auge“ zu den Top 10. Die Phrase stammt aus dem Türkischen („Gözlerinden öperim”) und soll Wertschätzung und Dankbarkeit ausdrücken. Und schon 2012 machte „Yalla“ den dritten Platz – das Wort stammt aus dem Arabischen. Das Phänomen entstammt dem „Kiezdeutschen“, einer sprachlichen Varietät, die sich vor allem in Wohngebieten mit hohem Migrantenanteil in Großstädten, entwickelt hat – Kiezdeutsch wird aber auch von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund gesprochen. Charakteristisch ist das Weglassen von Artikeln oder die Verkürzung von Wörtern.
So hat sich Sprache schon immer verändert und wird es auch weiterhin tun. Sprachkontakt, ob nun durch Reisen, Migration oder Grenzsituationen, nimmt Einfluss darauf, wie wir sprechen und was wir sagen. Das muss man nicht schön finden – und es ist auch (noch) nicht richtig. Aber sprachliche Neuerungen (ob nun durch Migration entstanden oder nicht) können durchaus zum Standard werden. Diese Veränderlichkeit macht Sprache aus und macht sie spannend.
Quellen:
Landesportal Schleswig-Holstein: „Minderheiten in Schleswig-Holstein – dänische Minderheit“ unter https://www.schleswig-holstein.de/DE/Fachinhalte/M/minderheiten/minderheiten_daenen.html
Benjamin Wieland: „Elsass sprachlos: Eine Sprache stirbt – und Paris freuts“ in bz – Zeitung für die Region Basel unter https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/elsass-sprachlos-eine-sprache-stirbt-und-paris-freuts-133757392
Christophe Büchi: „So ist die Mehrsprachigkeit in der Schweiz entstanden“ in Neue Zürcher Zeitung unter https://www.nzz.ch/schweiz/wie-sich-romanen-und-germanen-nahe-kamen-ld.1406748
Alexandra Dehle: „Alle sprechen deutsch“ in Süddeutsche Zeitung unter https://www.sueddeutsche.de/leben/deutsch-migration-1.4599563
Ulrike von Lsezczynski: „Kiezdeutsch ist bei allen Jugendlichen beliebt“ in Märkische Allgemeine unter https://www.maz-online.de/Nachrichten/Kultur/Kiezdeutsch-ist-bei-allen-Jugendlichen-beliebt