Am 30. September ist der Internationale Tag des Übersetzens. Der „International Translation Day“ (ITD) wurde von der UN-Vollversammlung 2017 zum Welttag des Übersetzens erklärt – wir kennen ihn schon lange als Hieronymustag. 2019 steht dieser vom Internationalen Übersetzerverband FIT veranstaltete Aktionstag unter dem Motto „Übersetzen und indigene Sprachen“, passend zum Internationalen Jahr der indigenen Sprachen 2019 der UNESCO – doch was sind indigene Sprachen überhaupt und welche Bedeutung haben sie für Übersetzer und Dolmetscher?
Was sind indigene Sprachen?
Mit indigenen Sprachen sind die Sprachen gemeint, die von der Bevölkerung Nord- und Südamerikas gesprochen wurden, bevor die Europäer dort siedelten. Außerdem sind es auch die Sprachen, die noch immer von den Nachfahren dieser Ureinwohner gesprochen werden. Auch in der Pazifikregion gibt es zahlreiche Völker, die indigene Sprachen sprechen. Charakteristisch für indigene Völker ist die historische Kontinuität, da viele Gebiete bereits seit Jahrtausenden von diesen Völkern besiedelt werden und so eine besonders enge Beziehung zum Land besteht. Außerdem haben indigene Völker meist eigene Organisationsstrukturen und haben eine soziale Randstellung in dem Land inne, in dem sie leben.
Die indigenen Sprachen unterteilen sich in zahlreiche Sprachfamilien sowie Einzelsprachen. Einige von ihnen, beispielsweise die amerikanischen indigenen Sprachen Quechua, Nahuatl oder Guaraní, haben noch heute mindestens eine halbe Million Sprecher, sind also durchaus bedeutend. Etwa 7000 Sprachen werden auf der Erde gesprochen, davon die meisten von indigenen Völkern. 2680 Sprachen stuft die UNESCO als bedroht ein.
Indigene Sprachen – aussterbende Sprachen?
Obwohl es einige indigene Sprachen gibt, die noch von vielen Muttersprachlern gesprochen und an ihre Kinder weitergegeben werden, sind viele dieser Sprachen bereits ausgestorben oder vom Aussterben bedroht. Häufig sind die meisten Sprecher ältere Menschen. Dadurch, dass nur wenige indigene Sprachen Nationalsprachen sind, werden sie von den nachfolgenden Generationen seltener gelernt. Teils war das sogar der politische Wille in einigen Ländern. Vor der Ankunft der Europäer in Amerika soll es mehr als 2000 indigene Sprachen gegeben haben, davon alleine 300 in Mexiko und Zentralamerika. Zwei Drittel davon gibt es heute nicht mehr.
Da viele dieser Sprachen nur gesprochen, nicht aber geschrieben werden, geht mit jeder weiteren Sprache auch ein Stück Kultur, Geschichte und auch Religion verloren. Sprache dient nicht nur zur Verständigung, sondern auch zu Identifikation und liefert somit immer auch ein Bild der Personen, die sie sprechen.
Sprache vor dem Aussterben retten
Viele Regierungen haben mittlerweile erkannt, dass Sprachen wichtiges Kulturgut sind, das es zu bewahren gilt. In den USA beispielsweise gibt es diverse Initiativen zur Erhaltung der indigenen Sprachen sowie Programme, die bereits ausgestorbene Sprachen wiederbeleben möchten. So gibt es häufig wieder Schulunterricht in den indigenen Sprachen, aber auch Sprachkurse für Erwachsene. Außerdem gibt es Radioprogramme in indigenen Sprachen. Darüber hinaus werden viele der bislang nur gesprochenen Sprachen verschriftlicht und so in Wörterbüchern oder Übersetzungen populärer Werke festgehalten. Die sozialen Medien bieten Sprechern ebenfalls die Möglichkeit zur Kommunikation und Vernetzung.
Auch außerhalb der jeweiligen Länder werden indigene Sprachen unterrichtet. An der Freien Universität Berlin beispielsweise werden am Lateinamerika-Institut fünf indigene Sprachen angeboten: Nahuatl, K’iche‘, Chol, Quechua und Guaraní.
Übersetzen in indigene Sprachen
Die Johannes Gutenberg-Universität Mainz plant außerdem einen weltweit einzigartigen Studiengang für das Übersetzen und Dolmetschen indigener Sprachen. Dieser Studiengang soll an der Universidad Autónoma „Benito Juárez“ de Oaxaca in Mexiko angeboten werden.
In Mexiko wurden bereits 62 indigene Sprachen zur Nationalsprache erklärt, sodass die indigene Bevölkerung berechtigt ist, ihre Muttersprache auch bei Behörden oder vor Gericht zu nutzen. Die Verständigung ist dabei trotzdem meist problematisch, da das Personal vor Ort vor allem Spanisch spricht. Durch den neuen Studiengang sollen qualifizierte Dolmetscher und Übersetzer ausgebildet werden, um den indigenen Sprachen auch ihren Wert im Alltag zurückzugeben.
Wer also heute in indigene Sprachen übersetzt, ist meist ein Autodidakt. Es gibt noch keine geregelten Ausbildungen oder Studiengänge und nur vergleichsweise wenig Sprachkurse. Da viele der indigenen Sprachen keine Schriftsprachen sind, ist vor allem das Dolmetschen wichtig. Doch auch die Verschriftlichung kann dabei helfen, Sprachen vor dem Aussterben zu retten. Derartige „Rettungsmissionen“ erleben wir auch in Europa, wo das Kornische in Cornwall wiederbelebt wurde. Auch das Saterfriesische in Ostfriesland wird in Schulen und Kindergärten unterrichtet, um die Varietät vor dem Aussterben zu retten.
Indigene Sprachen sind noch immer sehr vielfältig, viele von ihnen aber stark bedroht. Darauf macht das Internationale Jahr der indigenen Sprachen aufmerksam. Auch in Deutschland gibt es zum Aktionsjahr noch einige Veranstaltungen.
Quellen:
Survival-International: „Man kann es nicht einfach googeln und zurückholen”, https://www.survivalinternational.de/artikel/3167-bedrohte-sprachen
The Columbia Encyclopedia: „Native American Languages“, https://www.encyclopedia.com/literature-and-arts/language-linguistics-and-literary-terms/language-and-linguistics/native
Freie Universität Berlin: “Projekt Indigene Sprachen”, https://www.lai.fu-berlin.de/e-learning/projekte/indigen_sprachen/indigene_sprachen/index.html
JGU Magazin: „Neuer Studiengang Translation für indigene Sprachen“, http://www.magazin.uni-mainz.de/9803_DEU_HTML.php
International Year of Indigenous Languages: https://en.iyil2019.org/